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Ein Königreich auf dem Weg zum Glück

Bhutan, das letzte authentisch buddhistische Land im Himalaya, ist mit ca. 790 000 Einwohnern und einem BIP von ca. 2,5 Mrd USD eines der ärmeren Länder der Welt. Den Schritt in die parlamentarische Demokratie als konstitutionelle Monarchie  hat es gleichzeitig mit der Krönung des 5. Königs,  S.M. Jigme Khesar Namgyel Wangchuck 2008 vollzogen. 

Bhutan hat mit seinem Entwicklungs-Konzept „Bruttosozialglück“ und der damit fest verwobenen besonderen Orientierung auf  Nachhaltigkeit ein Markenzeichen in der Welt gesetzt. Es hat Eingang in die Diskussion über zeitgemäße soziale und umweltpolitische Konzepte u.a. im Bundestag und in den Vereinten Nationen gefunden.

Im Kern sagt es, dass die Entwicklung nicht über den besonders im Westen angebeteten Fetisch Wachstum des Bruttosozialprodukts, sondern  vorrangig über die Steigerung des Bruttosozialglücks betrieben werden sollte. Dieses revolutionäre Entwicklungskonzept der „Gross National Happiness“(GNH) wurde vom 19-jährigen 4. König S.M. Jigme Singye Wangchuck 1979, 5 Jahre nach seiner Krönung 1974, erstmals formuliert. Damals war Bhutan ein armes, nicht nur nach westlichem Standard mittelalterlich anmutendes Agrarland mit äußerst niedrigem Bildungsniveau. 

Wenn der König immer wieder das kollektive Glück seines Volkes zu seinem obersten Ziel erklärte, ist das vor dem  Hintergrund des Buddhismus und der schon im Legal Code of Bhutan von 1779 enthaltenen Maxime zu verstehen: 

„Wenn die Regierung nicht in der Lage ist, das Glück für das Volk zu schaffen, dann gibt es keinen Grund dafür, dass sie existiert!“

Das Bruttosozialglück ist sogar in der Verfassung in Artikel 9(2) unter „Prinzipien der Staatspolitik“ verankert:

„Der Staat wird sich bemühen besonders solche Bedingungen zu fördern, die die Entwicklung des Bruttosozialglücks ermöglichen.“

 

Das Konzept Bruttosozialglück wird von wenigen im Westen richtig verstanden. Das bhutanische Center for Bhutan Studies bringt es auf den Punkt: „Die meisten Entwicklungssysteme der Welt sind vorbehaltlos durchdrungen von einer beherrschenden ökonomischen Ideologie. Als Konsequenz wird Wettbewerb mehr als Zusammenarbeit geschätzt; einseitiges intellektuelles Wissen mehr als soziale, ethische, emotionale, künstlerische und spirituellebe ziehungsorientierte Eigenschaften.“

In der Zeitschrift BHUTAN (2012) A Short Guide to GNH Index heißt es: „Im GNH Index ist Glück multidimensional, nicht nur subjektives Wohlbefinden und Glück des Individuums, das sich nur für und mit sich selbst beschäftigt. Der „Pursuit of  Happiness“ ist kollektiv. In Bhutan ist man fest davon überzeugt, dass eine erfolgreiche Entwicklung der Gesellschaft nur dann möglich ist, wenn materielle und spirituelle Inhalte sich gleichwertig Seite an Seite entwickeln können, sich gegenseitig ergänzen und verstärken.“

Um uns im Westen Happiness im Sinne von GNH verständlicher zu machen, erklärt man sie gern mit Contentment. Ich bevorzuge dafür „in sich ruhende Zufriedenheit, Gelassenheit und Verbundenheit mit dem allgegenwärtigen SEIN.“, in höchster Ausprägung auch „Glückseligkeit“ als Gegensatz zu materiellem, äußerem Glück. In den Upanishaden heißt es: „SAT CHIT ANANDA“. Ich würde die Übersetzung bevorzugen: „SEIN BEWUSSTSEIN GLÜCKSELIGKEIT“. Interpretiert: Wenn wir mit unserem ganzen Bewusstsein im SEIN sind, dann und nur dann tritt Glückseligkeit ein.

 

Um zu verstehen, was gemeint ist, hilft uns Daio Kokushi in seinem Gedicht über ZEN:

 

„Es gibt eine Wirklichkeit, die vor Himmel und Erde steht.
Sie hat keine Form, geschweige denn einen Namen.
Augen können sie nicht sehen.

Lautlos ist sie, nicht wahrnehmbar für Ohren.
Sie Geist oder Buddha zu nennen, entspricht nicht ihrer Natur,
wie das Trugbild einer Blume wäre sie dann.
Nicht Geist noch Buddha ist sie; vollkommen ruhig erleuchtet sie in wunderbarer Weise.

Nur dem klaren Auge ist sie wahrnehmbar.
Das Dharma ist sie und wirklich jenseits von Form und Klang.
Das Tao ist sie, und Worte haben nichts mit ihr zu tun.

In der Absicht, Blinde anzuziehen, ließ Buddha seinem goldenen Munde
spielerische Worte entspringen seitdem sind Himmel und Erde überwuchert
mit dichtem Dornengebüsch.

O meine lieben und ehrenwerten Freunde, die ihr hier versammelt seid:

Wenn ihr euch danach sehnt, die donnernde Stimme des Dharma zu hören,
gebt eure Worte auf, entleert eure Gedanken, dann kommt ihr so weit,
das eine Sein zu erkennen“.

Man kann diese Wirklichkeit nicht mit Worten erklären oder sie mit Worten anderen verständlich machen, man kann sie nur erfahren. Nach 40 Jahren ZEN-Meditation  kann ich persönlich das bestätigen. Aus dieser Erfahrung entspringt das Glück, das in Bhutan gemeint ist.

Diese spirituelle Erfahrung mit den äußeren materiellen Zielen in Einklang zu bringen, ist unsere Lebensaufgabe, der Sinn unseres Lebens. „Transparenz für die immanente Transzendenz“ wie Karlfried Graf Dürckheim, mein wichtigster Lehrer, stets betonte.

Für diese spirituellen Erfahrungen bietet Bhutan einen fruchtbaren Boden. Deshalb sollte man nach Bhutan reisen und im JETZT verweilen lernen. Diese Achtsamkeit ist das Eingangstor zu jeder Art von Meditation. Danach folgt aber dann die Übung des Loslassens, die zur Gelassenheit führen kann.

Um das Bruttosozialglück für uns im Westen verständlich zu machen, bin auch nun ich der Versuchung erlegen, diese Art von Glück mit meinen Worten zu erklären. Man kann immer nur wieder Impulse setzen zur Heilung des leidenden Menschen der Moderne und Postmoderne.

Zur Überführung des Bruttosozialglücks von einem ideellen Konzept in eine realistische Entwicklungspolitik wurden vier prioritäre Säulen definiert: sozio-ökonomische Entwicklung, Erhalt des kulturelle Erbes (einschließlich der spirituellen Dimension), Umweltschutz und „Good Governance“. 

Es wurden 2010 und 2015 Volksbefragungen zu GNH auf Grundlage folgender neun Schwerpunkte durchgeführt: psychologisches Wohlergehen, physische Gesundheit, Erziehung und Bildung, Zeit-Nutzung und Gleichgewicht, kulturelle Vielfalt, kommunale Vitalität, ökologische Vielfalt und Resilienz, materieller Lebensstandard, Good Governance. 

Die Ergebnisse 2010:  https://ophi.org.uk/wp-content/uploads/GNH_and_GNH_index_2012.pdf

Die Ergebnisse 2015:  https://www.bhutanstudies.org.bt/publicationFiles/2015-Survey-Results.pdf

Von 2010 auf 2015 ist der Prozentsatz der Glücklichen von 41% auf 43, 4% gestiegen.

Das Ergebnis: Trotz Armut und oft harten Lebensbedingungen bezeichnen sich 41% und nach fünf Jahren 43,5% der Menschen als glücklich. Männer sind glücklicher als Frauen, Junge glücklicher als Alte, Gebildete glücklicher als Ungebildete, Arbeitslose glücklicher als Arbeiter und Bauern, Singles glücklicher als Verheiratete. Besonders zufrieden sind die Menschen mit ihrer Gesundheit, der Natur, ihrer psychischen Verfassung, dem sozialen Leben. 

Also nicht alle Bhutaner sind glücklich. Entscheidend jedoch ist, dass die Regierung auf die Bürger hört und eine Politik betreibt, die die Menschen im bhutanischen Sinne glücklicher macht. Nun, der Fortschritt in fünf Jahren mag klein erscheinen, aber wichtig ist ein stetiger Trend nach oben. Die mächtige GNH-Kommission prüft alle Regierungsmaßnahmen auf ihre Vereinbarkeit mit den Maximen von GNH.  

Premierminister Tshering Tobgay erklärte 2015, was das Bruttosozialglück für ihn bedeutet: „Wir versuchen, Wachstum im Gleichgewicht mit der sozialen Entwicklung, einem nachhaltigen Umweltschutz und dem Erhalt unserer Kultur zu fördern. Und das alles über „Good Governance“.Dieses Konzept nennen wir den holistischen Ansatz unseres Bruttosozialglücks. So werden wir Glück und Wohlergehen unseres Volkes verbessern. Unser König hat es uns einfach gemacht, Bruttosozialglück zu verstehen, als er sagte: „Es bedeutet ganz einfach eine Entwicklung nach unseren Werten.“

 

Nachhaltigkeit

They – die Bhutaner - are the world’s most likely climate heroes, bestätigen internationale Medien und Experten.  Nachhaltigkeit in Bhutan geht weit über unsere Definition hinaus, die aus der Forstwirtschaft kommt und mehr auf den Erhalt des Status quo abzielt. 

Auch für den Heisenbergschüler und Quantenphysiker Hans-Peter Dürr war diese Definition viel zu statisch, zu kurz gedacht. Er verstand unter Nachhaltigkeit ein dynamisches Postulat: “Das Lebende lebendiger werden lassen“. Genau diese aktive Gestaltung in die Zukunft findet man in Bhutan. Sie gilt nicht nur für den Umweltschutz. Sie ist aus den vier Säulen und neun Schwerpunkten des Bruttosozialglücks abgeleitet und gilt für alle diese Bereiche. 

PM Tshering Tobgay trieb das Programm mit Elan und großem persönlichen Engagement an. Er betonte:“ Wir sind nicht „carbonneutral“, wir sind „carbon negative“ und versprechen, langfristig zumindest „carbon neutral“ zu bleiben.“

Das Gesetz schreibt vor: Von jetzigen 72%  Waldfläche in Bhutan müssen mindestens 60% erhalten werden. Bhutan hat zur Klimaerwärmung nichts beigetragen, leidet aber insbesondere an den Folgen des Gletscherschwundes. Wasserkraft und Biomassekraftwerke werden weiter ausgebaut, Elektroautos gefördert, Papier reduziert, Bäume gepflanzt. Kostenlos sind Gesundheitswesen und Ausbildung. Green Public Procurement (GPP) wird ernst genommen. Das Land ist einer der wenigen „Diversity Hot Spots“ der Welt, kooperiert sehr erfolgreich mit dem WWF. Tourismus beschränkt man aus ökologischen Gründen. Leider wird man in der nahen Zukunft nicht die Mittel haben, um alle als zusätzlich nötig erkannten Umweltschutzmaßnahmen zu ergreifen. Der PM setzt sich  deshalb voll für die Initiative seines Königs „Bhutan for LIFE“ ein. Er wünscht sich ähnliche Programme in anderen Ländern.

Was sagt uns der heutige ehrenwerte Premierminister Dr.Lotay Tshering über Glück und das GNH?

"Wenn wir von Bruttsozialglück sprechen, ist das nicht die Art von Glück, die wir im Leben suchen", erklärte Lotay. "Es bedeutet viel mehr Zufriedenheit, Kontrolle über den eigenen Geist, Kontrolle über die Wünsche im Leben. Seien Sie nicht neidisch auf andere, seien Sie glücklich mit dem, was Sie haben, seien Sie mitfühlend, seien Sie eine Gesellschaft, in der Sie mehr als glücklich sein können, zu teilen."

"Unser König bezeichnet das Bruttosozialglück zu Recht als Entwicklung mit Werten", so Lotay weiter. "Wenn die Politik keinen guten Glücksindex erreicht, wenn die Politik nicht umweltfreundlich ist, wenn die Politik nicht in der Lage ist, sicherzustellen, dass sie zum Wohlergehen der Bhutanerinnen und Bhutaner führt, dann wird diese Politik in diesem Land niemals genehmigt werden." (CNN 13. Sept. 2019)

"Als der vierte König bald darauf die Macht übernahm, brachte er bereits 1972 die tiefgreifende Entwicklungsphilosophie des Bruttonationalglücks mit.

Als sich der Begriff "GNH" im Laufe der Jahre immer mehr durchsetzte, erkannte die Welt seine Bedeutung im nachhaltigen und ganzheitlichen Format im Gegensatz zum herkömmlichen BIP-Wachstum.

Ich freue mich, dass sich dieses Konzept im Bericht "Unsere gemeinsame Agenda" des Generalsekretärs widerspiegelt,...".

"Obwohl wir ein kleines Entwicklungsland sind, glauben wir als GNH-Land immer an den globalen Frieden und die Harmonie. Bhutan ist 2014 der Friedensmission beigetreten. Seitdem ist unsere Beteiligung an der UN-Friedenssicherung gewachsen.

(Erklärung Seiner Exzellenz Dr. Lotay Tshering, Premierminister des Königreichs Bhutan auf der 76. Tagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen (Generaldebatte), 25. September 2021, New York)

Im folgenden Artikel wird in der Tageszeitung KUENSEL auf die zentralen Aussagen der Rede Seiner Majestät des Königs, die er anlässlich des 114. Nationalfeiertages gehalten hat, eingegangen. Dabei geht SM der König ungewöhnlich offen auf die Probleme des Landes ein.

https://www.bhutan-gesellschaft.de/wp-content/uploads/2022/03/thunlam-2021_web.pdf

Ein ehrlicher Umgang mit dem Bruttosozialglück ist mir wichtig. Man sollte nicht nur dieses Konzept in Bhutan loben, sondern auch über kritische Themen und Probleme im Land sprechen und damit das Verbesserungspotential aufzeigen. S.M. der König hat das getan.
Er drückt aufs Tempo, weil  das ganzheitliche Verständnis von Glück eine Voraussetzung für Frieden im Leben des Einzelnen und für Frieden auf der Welt ist:

„Es kann keinen dauerhaften Frieden, Wohlstand, Gleichheit und Brüderlichkeit in dieser Welt geben, wenn unsere Ziele so getrennt und unterschiedlich sind, wenn wir nicht akzeptieren, dass wir letztendlich Menschen sind, alle gleich, die sich die Erde untereinander und auch mit anderen empfindungsfähigen Wesen teilen, die alle eine gleiche Rolle und einen gleichen Anteil am Zustand dieses Planeten und seiner Akteure haben.“

In Zeiten des Ukraine Krieges ist diese Erkenntnis besonders aktuell. Deshalb können wir alle von Bhutan lernen.

Relevanz für Deutschland

Unsere Auffassung von Glück ist fast ausschließlich auf äußere Glückserlebnisse ausgerichtet, wie viele Studien zeigen. Als Quelle für unser wirtschaftliches und nachhaltiges Wirken in der Welt ist inneres, spirituelle Wachstum, das zu Achtsamkeit, Gelassenheit und Mitgefühl, Empathie und Kongruenz, Harmonie, Liebe, Verständnis, Ethik und Moral führt, verschwindend wenig gefragt. Die faszinierende Philosophie des Bruttosozialglücks sollte – und könnte – auch in unserer hektischen und krankmachenden Informations- und Industriegesellschaft die Grundlage für einen dringend gebotenen Bewusstseins- und Politikwandel sein.

So könnte Nachhaltigkeit auch bei uns Erweiterung und Reform erfahren. Denn der Mensch ist verpflichtet, wenn er schon in die Natur eingreift und alle Wesen beeinflusst, nicht nur den Status Quo zu erhalten, sondern das Lebende lebendiger werden zu lassen. Dann und nur dann wirtschaftet man nachhaltig, nicht weil man muss, sondern weil man gar nicht anders kann. Bhutan gibt uns ein Beispiel!